Plan, 1999
Aktenkoffer, Asche
© Carl Friedrich Schroer zu: Heide Pawelzik - 2003
Schöne Ordnung – Großer Schrecken
Ein Aktenkoffer ist ein kantig Ding. Urbaustein der Bürokratenwelt, rechteckig, scharfkantig, funktional, findet er sich überall dort, wo schnörkellose Funktionalität gefragt ist, wo Machtphantasie sich auf rationale Planung verlässt. Nicht umsonst hält sich der Verdacht, dass der Inhalt sich der Form der eckigen Koffer irgendwie angepasst hätte. Hunderte von Aktenkoffern setzt Heide Pawelzik zu einer neuen rechtwinkligen Ordnung zusammen. Indem sie Koffer an Koffer setzt, werden sie zu Bausteinen einer eigenen Formation, die uns das andere Gesicht von Ordnung erahnen lässt. Die einfache Reihung, gesteigert, rückt an den Horror des Seriellen. Ordnung, bis an den Grad der Ambivalenz gebracht, rührt an grenzenlose Anonymität, an Verfall und Terror.
Heide Pawelziks Werk zeigt die den Dingen innewohnende Ambivalenz als ein spannungsreiches Miterscheinen. Nicht etwa als Binsenwahrheit, dass alles seine gute und schlechte Seite habe. Sondern eher als erschreckendes Phänomen, dass eine Position, indem sie sich radikal setzt, zerstörerisch wird und ihre eigene Negation hervorruft. So sehr die Installation der Künstlerin von seriellen Anordnungen ausgeht, es steckt ein Argwohn, vielleicht eine Warnung in ihnen, gegenüber eben diesen Verhältnissen. Denn die pure Fortsetzung des einmal erfolgreichen Prinzips droht doch ins Gegenteil umzuschlagen.
Wie schafft man es aber, beide, möglicherweise gegenläufigen, Entwicklungen darzustellen? Das ist die Kunst der Heide Pawelzik. Die schöne Ordnung der Dinge ist es jedenfalls nicht, die uns die Künstlerin vor Augen führt. Die Ordnung steht hier immer auf der Kippe und ihre Frage geht über sie hinaus: „Was mich interessiert ist, wie sich aus ein und demselben Ding etwas ergibt, das über den ganz banalen Fall hinausgeht, im guten wie im schlechten Fall:“ Koffer im Standartformat werden in einem längeren handwerklichen Prozess mit Asche beschichtet. Grau und schrundig erscheint die Oberfläche der immer gleichen Kästen, anonym, abstrakt doch zugleich sinnlicher und ausdrucksstärker. Banale Aktenkoffer werden durch die künstlerische Bearbeitung zu Metapherkästen: die Bodeninstallation nimmt die Gestalt einer Siedlung an, die abstrakten Reihungen lassen sich als Häuserschluchten, Kasernen, Kanalsysteme, als Bürofluchten, endlose Gänge, als Schützengräben erkennen. Auch das Ordnungen. Auch
sie Ergebnisse rationaler Planungen. Die Grundrisse utopischer Städteplanung erinnern nicht selten an die von Konzentrationslagern. Hier die geplante Menschheitsbeglückung, dort der organisierte Terror. Der Argwohn gegenüber Ordnung wohnt den Installationen von Heide Pawelzik inne. Ordnung aber galt als Oberprinzip der Ästhetik. Wenn alles an seinem rechten Platz war, galt das Werk erst als gelungen und schön. Was wäre gerettet, wenn alles an seinem Platz sei? ließe sich fragen. Die schöne Ordnung wird zur Schreckensvision. Das Schreckliche ist eine Weiterführung des Schönen. Diese Einsicht ist nicht neu. Rilke drückt den Sachverhalt in seiner ersten „Duineser Elegie“ so aus:
„Denn das Schöne ist nichts / als des Schrecklichen Anfang, den wir grade ertragen“
– ein halber, undefinierbarer Schritt weiter, und alle Ordnung wird namenloser Schrecken.
Carl Friedrich Schröer